Von Freunden für Freunde
Ziit cha mer nöd chaufe
Ziit tut mer neh und liebi drii tue
Dänn fangt si ganz andersch a laufe
Fangt si a flüsse
So wie du wetsch
Kalabrese - Sihltal
Lasst uns noch eine Weile tanzen gehen, sagt die eine, während wir an
der Langstrasse vor der gleichzeitig besten und schlechtesten Bar
stehen. Los gehts, schliesslich war ich noch nie im Klaus. Es soll
ein Release von Kalabrese (oder war es jemand anderes?) gefeiert
werden. Es ist Donnerstag Abend gegen Mitternacht. Ich bin mit drei
Leuten unterwegs. Zwei Eskorten Teilzeitbüroangestellten und einem
freien Gelehrten, der um die Gunst der einen wirbt - alle in unseren
Dreissigern. Die Damen reden über Typen. Die andere sagt zur Einen:
"You know what, so awesome, he did a song just for me! In the middle
of the track the voice says my name!!!" und quietscht dabei. Sie ist
hübsch und verlobt, aber nicht mit dem Musikproduzenten.
Das (oder der?) "Klaus", der Logik nach auf das "Kinski" (mit ich glaube ähnlichem Eventkonzept) folgend, ist an der Stelle vorzufinden, wo früher mal der Metalschuppen "Metzg" war. Heute ist es der einzige Ort an der Langstrasse im Kreis 4 mit GCZ Aufklebern im Anstehbereich. Dieser scheint in diesen Gefilden speziell wichtig zu sein - wie sonst würde das gemeine Fussvolk zwischen ununterscheidbaren Milieu-Bars und dem coolem Club unterscheiden können? Es dauert gute 20 Minuten (ohne ersichtlichen Grund) in denen schlicht weg gar nichts getan werden kann, ausser sich die Füsse mit den unnormal Uninteressanten, aber bemerkenswert herausgeputzten Anderen in den Leib zu stehen. Für meinen Geschmack und Zustand sind mir die wohlriechenden Menschen zu nah. Aber was soll ich tun? Ich befinde mich nun mal in der Pipeline des Donnerstag-Abend-Spasses für lässige und gut-situierte Alternativ(?)-Szenis dieser Stadt. Was soll's. Die Leute um uns herum könnten in unterschiedlichsten Branchen beschäftigt sein, die meisten noch keine 30 Jahre jung, aber tendenziell ein bisschen zu lässig für das Kaufleuten oder die Zukunft - denke ich. Da prescht ein besonders auffälliges Exemplar an uns vorbei: Typ junger Banker-Schnösel. "Ich muss morgen früh direkt nach London in ein Meeting", sagt er und verleiht der Kombination aus Segelschuhen, hellen Anzugshosen und weissem Hemd den gewissen "Hurensohn"-Touch, den man auch ohne den Kommentar vermutet hätte. Für einen Züri-Schlüssel ist auch er sich nicht zu gut.
An der Tür angekommen wird das lange Anstehen verständlich (wenn auch nicht entschuldbar): Ausweis zeigen, Handykamera abkleben, meine Personalien in die Liste eintragen und 25 Stutz Eintritt bezahlen. Oder sind es nur 15? Kaum drinnen angekommen werden wir bereits mit bestimmten Ton gebeten uns aus dem knapp bemessenen Kassenbereich zu verflüchtigen, der praktischerweise so ins Treppenhaus platziert ist, dass man sowohl Gästen wie auch Personal den Weg verstellt.
Was ist nun also diese:r:s Klaus? Unten befindet sich eine kleine Turnhalle mit Tanzparkett und einer Bar in Holz-Einbau, mit Skihütten-Flair. Der Ballsaal ist heimelig eingerichtet, mit Holz an den Wänden, mehreren Stellen bunt und Deko, die an Brockitouren und den Samstagsflohmarkt auf der Kanzlei erinnert. Alternativ halt. Die Musikanlage ist auf den Raum eingepasst und so eingestellt, dass die 100dB Stundenmittel nicht als Grenzwert, sondern eher als Versprechen gelten. Die Anlage ist eindeutig auf den Raum eingepasst worden. Oben, in einem deutlich kleineren Raum findet sich ein ähnliches Szenario vor, aber es wird geraucht und die Musik ist leiser. Immerhin gibt es da Sitzgelegenheiten. Von meiner Seite her ist wenig Wille vorhanden mit dem anwesenden Publikum in Kontakt zu treten - ich mag keinen Kleinsprech, wenn ich mich so weit aus meiner Komfortzone bewegte. Hübsche Frauen gibt es und coole Jungs, Szenis allesamt. Doch die mögen diesen Ort? Diese Musik? Diesen ganz-normalen-Donnerstag-Abend-in-Züri? Unironisch?
Zurück auf der Tanzfläche versuche ich mich mit der Situation abzufinden. In der Theorie finde ich House-Musik gut. Groovy Beats, funky Bässe, in Klang und Harmonie durchaus abwechslungsreich, nicht zu viele Melodien. Unaufdringliche, einladende Tanzmusik. Ich versuche es, doch es will nicht klappen. Zu viele hirntote Vocals, welche das zombie-esque, lässige Publikum zu Zusammengehörigkeits- und sonstigen Gefühlen animieren will. Ich bin offensichtlich einfach zu nüchtern. Da hilft kein Haschisch und auch kein Bier. Weder mit der Musik noch mit den Leuten, mit diesem Lokal werde ich einfach nicht warm. Ich bevorzuge düstere, dunkle Orte, oder dann wenigstens genügend Nebel, so dass ich mich - wenn ich mich nicht danach fühle - nicht mit all diesen Menschen beschäftigen muss, mich trotzdem gehen lassen und einfach tanzen kann. Und natürlich gute Musik. Kein Wunder bleibe ich sonst oft lieber zu Hause.
Nach nicht allzu langer Zeit soll ein Grämmli der Stimmung nachhelfen. Das Herrenklo ist gepflastert mit Warnhinweisen: "Konsum von illegalen Substanzen wird nicht toleriert", "Wer zusammen auf's Klo geht kriegt Hausverbot!", "Wir brauchen doch keine Drogen, um Spass zu haben" oder so ähnlich. Es stehen ununterbrochen mehrere Leute für die Kabine an. Die Koks-Metropole Zürich liefert schnell. Keine zwei Minuten vergehen bis der Handel im Fumoir, einen Meter vor dem Tresen der Bar vollzogen ist.
Unten, zwischen Herrenklo und Garderobe ist eine Besenkammer so eingerichtet, dass sie den Eindruck erwecken sollte, dass es ein Zimmer sei: verschieden hohe mit felligem Plastik bezogene Blöcke zieren den Unort. Meinen Kerl:innen wird der regelmässige Gang zum Klo zu mühsam, also pflanzen wir uns in den scheinbar als Konsumraum vorgesehenen Fleck. Die Kerlinnen labern ununterbrochen miteinander, wahrscheinlich über den selben Typen wie vorher oder irgendwen oder -etwas anderes - ich könnte mich kaum weniger dafür interessieren. Ich hätte aber auch eine Gelegenheit geschätzt, eine oder beide ein bisschen besser kennen zu lernen. Schliesslich soll das gemeinsame Überstehen von Notsituationen nachhaltig zusammenschweissen. Der andere Kerl in der Gruppe versucht durch Zuvorkommen seinen Avancen Nachdruck zu verleihen: "Schlüssel oder Linie?". Eine junge Dame, welche unsere soeben etablierte Konsum-Ecke betreten hat lacht laut auf und spricht: "Das kann ja heiter werden". Ich wage die Kontaktaufnahme. Mit meiner charmanten, selbst gebrauten Mischung aus seltsam und kringelig erwähne ich, dass ich schwer unbeeindruckt sei von alledem. Und dass es mein erstes Mal im "Privatklub von Freunden für Freunde" wäre. "Du musst einfach viel mehr Drogen in dich hinein machen", erklärt sie den modus operandi. Und dann, dass sie in wenigen Stunden schon wieder arbeiten gehen müsse. Und dass es einfach immer so toll sei im Klaus. Ich vermute einen eher hirnlosen Bürojob. Es ist 3 Uhr früh.
Wozu gehen Leute überhaupt aus, lässt sich an dieser Stelle gut fragen. Also, so ganz generell jetzt, nicht auf das Klaus und den Donnerstag nach 23 Uhr bezogen. Manche wollen vielleicht Kunst oder andere Auswüchse sogenannter Hochkultur erfahren. Manche vielleicht nur Kultur geniessen. Gewisse sind bestimmt darauf erpicht, ganz spezifische Inhalte zu verinnerlichen, sei es, weil sie sich diese mantraartig zu Fetischen totemisiert haben, sie einfach Fan sind von Dingen oder aus einer neurotischen Ader heraus alles von etwas sehen wollen (respektive müssen). Einige wollen einfach abschalten, nach einem oder mehreren anstrengenden Arbeitstagen, saufen sich einen an, wollen einen drauf geben, ziehen weiter bis sie keine Lust mehr haben und schlussendlich todmüde im Bett landen. Einige sind bestimmt auch angetrieben von der urban legend des Gelegenheitssex. Ihr wisst schon: "geh einfach in eine Bar (oder Club oder Diskothek) und schlepp eine ab". Ein-Nacht Ständchen mit schönen Singles, die sich in der selben Situation befinden. Manche gehen aus Langeweile aus, und einige bestimmt auch aus Gewohnheit: umendrögelen als Lebensstil, tanzen gehen als Hobby, Ausgang als Selbstzweck, die Szene als Bezugspunkt, Ersatzfamilie (aber nur der spassige Teil) und Biotop. Ist die Tätigkeit erst einmal als Selbstzweck definiert, entledigt sie sich jeglicher Nachfrage nach Sinn. Wozu auch. Die Zeit fliesst nicht, sie ist. Jetzt. Und mit dem Stellen dummer Fragen hast du weder Spass, noch schleppst du hübsche Ladies ab.
Würde ich eine Umfrage starten, müsste ich gut bedenken, wie die Fragen zu stellen wären, um meine These zu beweisen, doch ich bin überzeugt davon, dass hornige, ledige Typen, also diejenigen, welche sich von einem Abend mehr Leistung (und weniger Kosten) erhoffen als von einem Besuch im Puff, die (ökonomische) Antriebskraft des Zürcher Nachtlebens sind. Schliesslich sind gerade auch männliche Szenis sehr erpicht darauf nicht einfach zuzugeben, dass sie angetrieben von Einsamkeit, blanker Geilheit und eventuell einem ins Unterbewusstsein zurückgedrängtem Wunsch nach Zuneigung und Mutterliebe sich Abend für Abend, Woche für Woche an solche Unorte begeben, um ihr Kleingeld los zu werden.
Einmal davon ausgegangen, dass pro Person und Donnerstag Abend im Klaus durchschnittlich 50 Franken ausgegeben werden (Eintritt plus zwei Drinks oder 5 Bier oder so) und an einem Donnerstagabend (bekanntlich der umsatzschwächste der drei Wochenendtage) 150 Gäste empfangen werden, haben wir bereits einen Umsatz von 7500 Franken. Ich glaube an diesem Abend 2 DJs auszumachen (Gage total vielleicht 500 Franken?), 3 Menschen an den Bars (eine Person davon als Runner), je eine Person an Kasse, Garderobe und als Security komme ich auf sechs mal sechs Arbeitsstunden (wir runden vorsichtshalber mal auf 40 auf) á vielleicht 30 Franken (brutto), was keine zweitausend Franken variabler Abendkosten (Löhne und Gagen) ergibt. Dazu kommen Fixkosten (Miete, Strom, Heizkosten, usw.) und Planungs- und sonstige Administrationsaufwände. Wenn wir davon ausgehen wollen, dass sich alle Kosten für einen Donnerstagabendbetrieb auf 4000 Franken belaufen und tatsächlich 7500 Franken Umsatz eingespielt werden, so schafft das Vereinslokal "Von Freunden für Freunde" jeden Donnerstag 3500 Franken Gewinn, also 14000 pro Monat. Das sind 168 000 Franken pro Jahr. Und das am umsatzärmsten der Wochenendtage. Insgesamt erwirtschaftet der Freundschaftsdienst vielleicht eine glatte Million Gewinn pro Jahr. Aber was weiss ich schon.
Inzwischen scheint unser Vorausgehen zu fruchten. Zwei Kerle und eine Kerlin stellen sich in die andere Ecke zwecks Konsum, ein weiterer Kerl gesellt sich zu uns. Ich wage eine Interaktion. "Wenigstens hat es hier viele Frauen", versucht er mich vom vorgefundenen Kulturkonzept zu überzeugen. Ich schätze knapp 30 Prozent - tatsächlich nicht schlecht. Für die Musik ist auch er nicht da. Warum ich nicht neben den Frauen sitze, fragt er, ohne auch nur einen Hoffnungsschimmer von Verständnis für einen solch augenscheinlichen Missstand anzuzeigen. Er wird einer Kerlin einen Drink spendieren und ihre Nummer dafür erfahren, mit welcher er noch mehrere Tage per Textnachricht um ihre Gunst werben wird - erfolglos.
Ich überlasse die Enthusiast:innen des Höllenpulvers ihrem Schicksal und verzieh mich. Besser wird der Abend nicht. Wenig später fliegt der andere Kerl unserer Viererkombo raus - wegen den Linien. Die Kerlinnen verweilen länger, sie haben einen tollen Abend.
So also geht "tanzen gehen" an einem Donnerstag Abend an der Langstrasse in Zürich.
Zwei vom Boden aufgehobene Mini-Grips mit Rückständen weissen Pulvers und ein Emoji "Face with Uneven Eyes and Wavy Mouth".